Araxie Molineux – von Palästina nach Nordirland

Vorweg:

Nein, diesmal geht es definitiv nicht um Ordnung und Organizing, sondern um die Verneigung vor einer sehr beeindruckenden Persönlichkeit und ich hoffe, dass der eine oder andere die Geduld und die Muße aufbringt, die Geschichte bis zum Ende zu lesen.
Durch Zufall bin ich heute bei Instagram über Bilder von den Mourne Mountains, Nordirland, gestolpert und bin sofort in Gedanken auf Reisen zurück zu einem ganz besonderen Aufenthalt und zu einer ganz besonderen Person gegangen und habe einen Artikel rausgekramt, den ich vor Jahren geschrieben habe.

Zum besseren Verständnis die Vorgeschichte zu dem folgenden Artikel, den ich im Jahr 2009 auf Suite101 veröffentlicht habe und der nicht mehr zu finden ist, weil die Seite mittlerweile eingestellt wurde:
Mein Mann und ich sind große Irland-Fans, das ist kein Geheimnis. Besonders Nordirland hat es uns angetan. Vor etlichen Jahren waren wir in Newcastle, allerdings nur für einen Tag.

Beim Erkunden der Gegend sahen wir an der Tullibrannigan Road, die hinauf zum Tullymore Forest Park führt, ein B&B Schild und nahmen uns vor, uns dieses B&B unbedingt zu merken, weil es uns die perfekte Lage mit der tollsten Aussicht weit und breit erschien. Zwei Jahre später fragte ich beim Newcastle Tourist Office genau diese Location an. Janice Douthwaite vom TIC gab sich alle Mühe, uns das auzureden.

Es sei eine sehr alte Dame, über 80, und das Haus habe seine besten Zeiten hinter sich – aber wir blieben hartnäckig und bestanden auf einer Buchung. Als wir ein paar Wochen später eintrafen, stellte sich heraus, dass Janice Mrs. Molineux von den beiden Deutschen erzählt hatte, die um jeden Preis bei ihr hatten wohnen wollen und natürlich fragte sie nach dem Grund, den wir ihr gerne erzählten und binnen von Sekunden waren wir in höchst interessante Gespräche mit ihr verwickelt, von denen es in den nächsten 7 Tagen eine Menge weitere geben sollte und uns so beeindruckten, dass ich darüber schreiben musste.

Der ungewöhnliche, manchmal aufregende berufliche und private Weg der ersten weiblichen Bank-Managerin der Welt

Das Granitmassiv der Mourne Mountains beherrscht den Horizont, wenn man von Belfast gen Süden nach Newcastle fährt. Es ist eine der schönsten Ecken Nordirlands. Auf halber Höhe des Sleave Donard mit einem atemberaubenden Blick über die Küste wohnt eine äußerst ungewöhnliche alte Dame: Araxie Molineux
Wie kommt eine in Jerusalem geborene Armenierin ausgerechnet an diesen Ort? Araxie Molineux wählte ihn, weil ihre Mutter ihr als Kind das Lied von den ‚Mountains of Mourne‘, das Sehnsuchtslied der Iren in der Diaspora, vorgesungen hat und er dem Kind Araxie als der schönste Ort der Welt vorgekommen sein muss……..
Aber beginnen wir mit dem Anfang.

Geboren in Jerusalem

Araxie Molineux wurde 1923 als Araxie Yaghlian in Palästina geboren. Ihre armenischen Eltern waren auf der Flucht vor dem türkischen Genozid 1914/1915 nach Jerusalem gekommen. Ihr Überlebensspruch bei der Flucht war: ‚Wir treffen uns in Jerusalem – im Himmel oder auf der Erde.‘ Eigentlich wäre Araxie gerne in die Fußstapfen ihres Vaters, der nach dem ersten Weltkrieg als Arzt in die britische Armee eingetreten war, getreten und Ärztin geworden, aber der Ausbruch des zweiten Weltkriegs machte ihr einen Strich durch die Rechnung. 1941 – sie war 18 Jahre alt – erzählte ihr ein Freund, dass die Barclays Bank in Jerusalem Auszubildende wie sie suchte und sie wurde auf Anhieb genommen und machte eine Banklehre. Als die Briten 1947 Jerusalem verließen, wurde sie nach Zypern versetzt.

Abenteuer in Zypern

Stationiert in Limassol sah sie sich mit der extrem aufgeladenen politischen Situation in Zypern konfrontiert. Die Stimmung gegenüber den britischen Kolonialherren war nicht gerade freundlich und Terrorakte von Seiten der griechischen Untergrundbewegung EOKA waren an der Tagesordnung. Vor diesem politischen Hintergrund wurde sie damit beauftragt, als ‚mobile Zweigstelle‘ die britischen Armee-Einheiten durchs Land zu bereisen, da es für die Militärs extrem gefährlich war, nach Limassol in die Stadt zur Bank zu kommen. Ohne sonderliche Sicherheitsvorkehrungen reiste sie, ausgestattet lediglich mit einem Wagen und einer Box für das Geld, ständig durchs Land und eröffnete Ihren ‚Schalter‘, wo immer es gerade möglich war: in Zelten, Wohnwagen, Militärbüros und zwei mal sogar in einer Kirche, von Kunden und Kollegen liebevoll ‚the lady manager‘ genannt.

Über die Frage, warum man gerade sie als Frau mit diesem nicht gerade ungefährlichen Job betraute, sinniert sie: ‚Man dachte, glaube ich, dass die Unruhestifter mich als Frau in Frieden lassen würden.‘ Fakt ist, dass die Repräsentanten britischer Banken, also auch Araxie, durchaus Ziele von Übergriffen wurden – die Reifen ihres Wagen wurden mehrfach zerstochen und einer ihrer Kollegen wurde Opfer eines Anschlags – sie lebte in ständiger Angst.

Aber auch die eine oder andere amüsante Geschichte weiß die alte Dame mehr als 50 Jahre später aus ihrer Zeit in Zypern mit einem Schmunzeln zu erzählen: ‚Eines Tages kam ein ranghoher kommandierender Offizier zu mir. Er wollte dringend einen von ihm ausgestellten Scheck stoppen und bestand darauf, mich unter vier Augen sprechen zu dürfen. Wir gingen also hinaus und setzen uns auf den Rücksitz seines Dienstwagens. Es stellte sich heraus, dass er in der Bar des ‚Rose Hotels‘ gewesen war, wo sich ’spezielle‘ Damen tummelten. Er hatte, sagen wir mal, einen sehr angenehmen Abend. Dummerweise konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern, wie hoch der Scheck war, den er dafür ausgestellt hatte. „Dann lassen Sie uns einen Preis festlegen,“ sagte ich. “ Wieviel war es Ihnen Wert?“
Auch wenn ihre Position in Zypern sie faktisch zur ersten weiblichen Bank Managerin machte, wurde dies damals formal nicht anerkannt und schlug sich schon gar nicht in der Bezahlung nieder. „Ich wurde bezahlt wie eine Bürokraft, vermutlich weil ich ’nur‘ eine Frau war.“

Die ‚Mountains of Mourne‘

Immerhin brachte ihr die Zeit bei den britischen Streitkräften die Bekanntschaft von Lawrence Molineux, einem britischen Offizier, ein, den sie, als er mit seiner Einheit nach Singapur versetzt wurde, heiratete. Damit beendete sie zunächst ihren Job bei Barclays Bank. Den Krisengebieten der Welt reiste sie stetig hinterdrein. Als ihr Mann Anfang der 60er Jahre seinen Dienst in Singapur beendete, kehrten sie zunächst nach Jerusalem zurück. Die Region war instabiler denn je und sie überlegten, wohin sie ihr gemeinsamer Weg führen sollte. Die Wahl fiel auf Nordirland – die Sehnsucht nach den Bergen, die ihre Mutter für sie besungen hatte, hatte Araxie nicht losgelassen. Noch immer schienen sie ihr als der schönste Ort der Welt. Auch wenn sie den wunderschönsten Ort der Welt tatsächlich fand und mit ihrem Mann eine Farm an den Mountains of Mourne kaufte, ist es überflüssig zu erwähnen, dass sie sich auch hier wieder inmitten der ‚Troubles‘ befand.

Zwischenspiel in Sambia

Als ihr Mann Ende der 60er Jahre schwer erkrankte und sie die Farm nicht weiter bewirtschaften konnten, ließ sie sich nochmals von Barclays Bank ‚anheuern‘ und ging 1969 für sie, wie könnte es anders sein, in ein weiteres Krisengebiet: nach Lusaka in Sambia. Und wieder war es nicht nur ein Vergnügen, für Barclays zu arbeiten. Ein Mann in Ihrer Position hätte diverse Privilegien gehabt, z.B. kostenlose Flüge für die Ehefrau, Bezahlung eines Internats für die Kinder…. Leider galten diese Regelungen nicht für Ehemänner. Frauen waren nun mal nicht für Posten dieser Art vorgesehen und Barclays erwies sich als zu unflexibel, für die einzige Frau in dieser Position eine Ausnahme zu machen. Ihren schwer kranken Mann und die beiden Töchter mußte sie mitnehmen – Flüge in die Heimat waren nicht ‚drin‘.

Endgültig zurückgekehrt nach Nordirland, erwarb Araxie Molineux einen akademischen Grad und lehrte Ökonomie und Bankwesen an der Universität. Auch wenn sie heute in Jahrbüchern der Barclays Bank als beispielhafte Vorreiterin erwähnt wird, erzählt sie über ihren ehemaligen Arbeitgeber mit einer gewissen Bitterkeit: Bis heute erhält sie von Barclays keine Altersrente, da ihr nach den ‚Vorschriften‘ einige Monate an der Mindestbeschäftigungszeit für einen Rentenanspruch fehlen. Noch im hohen Alter von über 80 Jahren mußte sie einen Teil Ihres Hauses, das als einziges von der Farm übrig blieb, als Ferienwohnung vermieten, um ihren Lebensabend zu bestreiten. Wer das Vergnügen hatte, bei ihr zu wohnen, wurde mit interessanten Geschichten aus ihrem Leben und der schönsten Aussicht der Welt beschenkt – „Where the Mountains of Mourne sweep down to the sea“.

Nachwort

Ungefähr ein Jahr, nachdem ich diesen Artikel veröffentlicht hatte, erfuhren wir, dass Araxie Molineux gestorben war. Ein Neffe von ihr schrieb uns aus Norwegen und fragte, wie es zu diesem Artikel gekommen sei und ob er ihn ins Englische übersetzen und ebenfalls veröffentlichen dürfe. Ich hoffe, er trägt dazu bei, dass Araxie Molineux nicht in Vergessenheit gerät.

Nachtrag

Bekannt wurden die Berge 1896 durch ein Lied des irischen Komponisten William Percy French. Dessen Refrain „Where the Mountains of Mourne sweep down to the sea“ fängt die Verschmelzung von Meer, Himmel und Berghängen perfekt ein. Viele Songs von Percy French haben die Irische Diaspora zum Thema, das Lied über die Mourne Mountains ist besonders repräsentativ dafür.
Gesungen wird es im Allgemeinen zu der gleichen Melodie des songs ‚Bendemeer’s Stream‘ von Thomas Moore (1779-1852).

3 Kommentare

  1. Claudia Sleyfer 29. Oktober 2018 um 21:40 Uhr - Antworten

    Was für eine besondere Begegnung. Danke für diese berührende Geschichte.

  2. Bettina 29. Oktober 2018 um 22:04 Uhr - Antworten

    Danke für den wunderschönen Text, einer wunderbaren Frau!!

  3. A. 13. November 2018 um 13:47 Uhr - Antworten

    Lesenswert, liebenswert.
    Wundersam, wunderschön, wunderbar.

    Werte und Wunder. Das trifft’s.

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